Warum wir nicht demonstrieren und was das mit Bildung zu tun hat

Demonstrationen und Streiks wurden in einer Zeit erfunden, als einem der Widersacher klar gegenüberstand. Heute jedoch gibt es keinen offensichtlichen Gegenüber mehr. Die großen Ungerechtigkeiten der heutigen Zeit haben keinen klar definierten Schuldigen. Kaum einer findet all die Unterdrückung, Ausbeutung und Armut gerechtfertigt oder sogar gut. Trotzdem geschehen diese Dinge in einem Ausmaß, dass es jeden einzelnen von uns beschämen sollte, dass die reale Welt in einem so krassen Widerspruch zu unseren inneren Wertvorstellungen steht und auch weil wir natürlich unseren Teil dazu beitragen, dass die Welt so ist, wie sie ist.
Die offene Ungerechtigkeit vergangener Zeiten ist übergegangen in eine verdeckte, subtile Ungerechtigkeit. Und es macht keinen Sinn eine solche Ungerechtigkeit offen auf der Straße herauszufordern, denn es wird keiner antworten.
Heute gilt es nicht mehr mit alten Vorstellungen zu brechen, sondern neue Vorstellungen umzusetzen. Es gilt nicht mehr eine falsche Wertvorstellung in den Abgrund zu stürzen, sondern eine echte Welt vor dem Abgrund zu retten.
Nicht „Widerstand“, sondern „Aufklärung“ ist gefragt, denn es geht darum zuerst einmal die Wirkungsweise der immer komplexer werdenden Zusammenhänge zu verstehen, die all die Ungerechtigkeiten erzeugen. Den Zusammenhang von Autos und Klimaflüchtlingen zum Beispiel oder von billiger Kleidung und Armut. Aber nicht nur das. Vor allem geht es auch um die Frage, wie man Menschen dazu bringt, das, was sie verstanden haben, auch konsequent umzusetzen. Diese Frage können Demonstrationen und Streiks nicht beantworten. Stattdessen braucht es Aktionsformen, die die Menschen wirklich berühren, die längst vergessene Ideale wieder wachrufen und neue Wünsche und Visionen wecken. Es braucht Aktionsformen, die Menschen in intensiven Kontakt mit anderen kommen lassen und ermöglichen, dass Ideen, Erfahrungen und vor allem Begeisterung ausgetauscht werden. Aktionsformen, die es ermöglichen, das der Funken von einem zum anderen Menschen überspringt

Nirgendwo sonst wird der Visionswille und die Hoffnungsfähigkeit der Menschen so stark zerstört wie im heutigen Schulsystem. Durch Strukturen, wie Schulpflicht und Noten, sind die Grunderfahrungen, die die Kinder der heutigen Zeit machen, Unfreiheit (ich muss zu Schule), Unmündigkeit (ich werde von anderen beurteilt), Ohnmacht (ich kann nichts an der Struktur ändern) und Einsamkeit (ich muss mich alleine gegen andere durchsetzten). Das Schulsystem, das eingeführt wurde, um den Menschen ein Mindestmaß an Bildung zukommen zu lassen, ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass die vielen heutigen Probleme und Herausforderungen, mit denen sich die Menschheit konfrontiert sieht, nicht gelöst werden.

Es braucht heute eine Bildung, die die Kreativität und Begeisterungsfähigkeit der Menschen fördert. Es braucht Menschen, die den Mut und die Lust haben, verdeckte und verdrängte Probleme aufzudecken und zu lösen. Eine Bildung, die die Träume und Hoffnung der Menschen stärkt und sie ermutigt nach ihren Idealen zu streben. Menschen dazu befähigen, die Welt und die Gesellschaft nach ihren Wünschen zu gestalten, dass ist die Aufgabe, der sich Bildung heute stellen muss.

-Von Emil Funkenflieger“

Kommentare (2) Schreibe einen Kommentar

  1. Es ist ein Aufgeben von Demokratie und ihren wichtigsten Mitteln (wozu Demonstrationen gehören), wenn man Demonstrieren und wirkungsvollen Veränderungs-Einsatz gegeneinander stellen will…
    Dass heute nicht mehr nur eine kleine gegnerische Splitter-Gruppe da ist, sondern eine verheerend breite Lähmung der Menschen-Masse ständig massiv Schuld trägt am schrecklichem Titanic-Kurs der Welt-Entwicklung —- ist m.E. absolut kein Argument dafür, auf aufweckende Demonstrationen zu verzichten!!!
    Greta Thunberg zeigt, dass dadurch auch nennenswerte Resonanz und Antworten ausgelöst werden können…
    Ich behaupte mal frech das Gegenteil: Argumente wie von Emil Funkenflug haben für mich den Geruch, die Menschen mehr in ihren kleinen Veränderungs-Ecken zu halten (‚Geht anders konsumieren, und macht motivierende Spiele und Theater…‘) — statt mit massiven System-Veränderungs-Ansprüchen öffentlich auf die Pauke zu hauen…
    „Es muss alles anders werden, gerade auch grundsätzlich das System — aber lasst es uns im Rahmen individualistischer Reform-Aktivitäten halten, ohne zuviel öffentlichen Wirbel…“

    Öff Öff
    global-love.eu

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  2. Lieber Emil, was du schreibst, kann ich gut nachvollziehen und ich finde das sehr wesentlich. – Dennoch gibt es auch eine politische Verantwortung – Parlamente, die einen Rahmen durch Gesetze, Fördergelder etc. setzen und manches erst ermöglichen oder eben im Guten oder Schlechten verhindern. Und in diesem Sinn machen Streik und Demonstrationen Sinn.

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