Über erste Schritte

Wir sitzen in der kleinen Küche einer Altbauwohnung in Berlin Weißensee. Sitzen am Tisch, kochen, reden über den heutigen Tag. „Gestern bin ich mit so ’nem guten Gefühl ins Bett gegangen. Ich dachte „geil!“, ja, krass, so muss das aussehen. Und dann bin ich heute Morgen aufgewacht und hab mich gefragt: Moment, wie soll das jetzt eigentlich aussehen?“, sagt Joey vom Küchentisch aus. Guckt in die Runde. „Mir kam es heute so vor als sei am Anfang die Motivation sehr groß gewesen und dann hab ich gemerkt, dass ich der einzige bin, der jetzt an ’nem Modell arbeitet“, meint Norman.
Nebenbei brutzeln die Zwiebeln im Topf. Ich blicke mich um. Hetze hin und her zwischen Kochtopf und dem Gespräch. Komme nicht zur Ruhe. Weiß nicht genau, was ich sagen soll. Auch ich hab mich heute irgendwann zurückgehalten. Nicht mehr richtig mitgemacht. Hing in der Luft. War ganz weit weg. Obwohl körperlich anwesend.
In dieser Wohnung in Berlin, in der wir uns seit Donnerstagabend zusammengefunden haben. Zusammengefunden zum Thema „Funkenort – der erste Schritt“. Um uns damit auseinanderzusetzen, wie ein Ort aussehen würde an dem die ganze Zeit die Funken sprühen. Was passieren muss damit wir hauptberuflich die Welt verschönern können, ohne ständig zu überlegen, woher das Geld zum Leben kommt. Wie wir schon jetzt unseren Traum von Gesellschaft leben können, ohne aus der jetzigen aus zusteigen.
Und das ist vielleicht gar nicht so einfach. Nicht so einfach, wie man denkt. Denn sich beschweren ist ganz leicht. Unzufrieden sein auch. Und meckern. Über Schule, Bildung, das Geld, über Wirtschaft und die ganze, große, weite Welt. Weil man sich dann in Wolkenschlösser fliehen und Traumtürme ganz weit weg bauen kann. Im hintersten Winkel seiner Seele. Weil man sich dann gleichzeitig immer noch „zu Hause“ ausruhen und der Routine folgen kann. Den gewohnten  Bahnen, die scheinbare Sicherheit versprechen. Und dann bist du vielleicht nicht absolut glücklich, wenigstens aber ganz zufrieden, gut behütet. Riskierst auch nicht zu verlieren oder etwas einzubüßen von diesem Alltag mit seinen kurzen Glücksmomentchen.
Und trotzdem sind wir heute hier. Sitzen zu acht in eben jener Küche und fragen uns, was eigentlich gerade fehlt. Warum wir von unseren scheinbar ersten Gehversuchen ins Stolpern und Wanken, ins Sich-nicht-mehr-trauen-Weiterzugehen, vielleicht-gar-nicht-richtig-Aufstehen und auf der Stelle-Bleiben gekommen sind. Innerhalb von nur zwei Tagen.
Seit Freitagvormittag setzen wir uns jetzt wirklich mit unseren Träumen und Visionen auseinander. Haben angefangen OLYMPUS DIGITAL CAMERAmit einer kleinen runde draußen im Park. Über erste Vorstellungen geredet. Darüber diskutiert, was es für uns überhaupt bedeutet, die „Gesellschaft ein kleines Stückchen besser zu machen“. Während die einen nur nach einem Ort für kurze Phasen der Kreativität, des Projekte-Spinnens suchen, haben wieder andere Ideen von einem permanenten Ort des Halts, des Gemeinschaftslebens. Ein Ort an dem Ideen fruchten, neue Lebensformen ausprobiert werden, und auch Leute von außerhalb, sprich alle und jeder die Möglichkeit haben zu kommen, zu gehen, miteinander zu arbeiten. Von Träumen über Co-Working-Spaces, kunsttherapeutische Arbeit, die Entstehung eines holistischen „Heilungsortes“, Zusammenleben mit Alt und Jung, Gärtnerarbeit und Landwirtschaft ist alles mit dabei. Unsere Vorstellungen weichen gar nicht so groß voneinander ab, wie vielleicht befürchtet. Das zeigt sich schnell. Wir stellen fest, dass sich auch unterschiedliche Lebenspläne miteinander vereinbaren lassen. Dass wir das sogar wollen! Auch in einer Runde am Freitagabend, als jeder für sich persönlich nochmal in Ruhe die Frage beantwortet „Warum bin ich gerade hier?“ und „Was ist meine Vision von einem Funkenort?“. Schnell steht danach, eine Liste mit nächsten Schritten, die gemacht werden müssen.
So das wir am nächsten Tag, das ist diesen Morgen, beginnen uns vielleicht beinah ein bisschen überstürzt in Bewegung zu setzen. Filmmaterial von den bisherigen Runden schneiden, eine Facebook-Seite erstellen, für diese ein Titelbild machen, einen Brief an eine Biobäuerin schreiben, die sogar vielleicht ein Grundstück zur Verfügung hätte, beginnen einen kleinen Modellfunkenort zu basteln und sammeln Material für ein erstes Konzept. „Wir haben Ideen, die nun einen Boden brauchen auf dem sie heranreifen, fruchten und Blüte tragen können. Und sind nun auf der Suche nach Leuten, die mit uns die nächsten Schritte wagen wollen“, schreiben Lydia und ich in dem Brief.
Jetzt setzt Norman wieder zum Reden an. Spricht weiter. Darüber wie er heute auf einmal ganz allein da saß, mit unserem Modell. Wir andern irgendwo zerstreut. „Erst hab‘ ich gedacht: ok ich brech‘ jetzt ab. Wenn niemand Bock hat, hab‘ ich auch keinen Bock. Dann hab‘ ich’s trotzdem gemacht.“ Dann fang‘ auch ich an zu reden. Über das Gefühl in mir mit dem ich schon gestern Abend ins Bett gegangen bin. Mit etwas, das sich der Euphorie des Tages in den WOLYMPUS DIGITAL CAMERAeg wirft. Einer kleinen Stimme im Hinterkopf, die mir einredet, an allem etwas auszusetzen zu haben, immer auf mehr und mehr und mehr zu hoffen, aber überzeugt davon ist, es sich nicht selber schaffen zu können. Nennt man das Ernüchterung? Unsicherheit? Angst? „Ich finde es total schwer mich wirklich festzulegen“, sage ich, „ich weiß zwar, dass ich so, wie ich im Moment lebe nicht vollkommen glücklich bin und, dass ich mir auch ein anders Leben wünsche. Ein Leben, wie das, von dem wir die letzten Tage geredet haben. Und gleichzeitig hab ich gemerkt, wie ich heute irgendwie geflohen bin. Wie es sich ganz komisch anfühlt, immer nur von einem Leben zu träumen. Wenn man es dann aber wirklich macht, dann ist das ganz ungewohnt und neu. Und dann muss man vielleicht manchmal kurz einen kleinen Schritt zurück treten.“
Denn konkret werden ist gar nicht so leicht. Wir entscheiden uns, dass jeder von uns die nächsten Wochen nochmal in sich horcht. Sich fragt: Was würde sich für mich ändern, wenn ein Funkenort HEUTE existiert? Und wie sieht dieser Ort dann wirklich aus? Wirklich ein Gefühl, dafür entwickelt, was das für ein Stein ist, der sich hier gerade in Bewegung setzt, den wir Anstoßen und immer mehr ins Rollen bringen. Um uns dann nochmal zu treffen. Mit mehr Klarheit.
Das Essen ist fertig. Steht in dampfenden Töpfen auf dem Tisch. Danach, mit vollen Bäuchen, kommen wir trotzdem wieder zusammen. Um die Fragen zu beantworten, auf die wir schon heute, gemeinsam eine AntwortOLYMPUS DIGITAL CAMERA finden können. Jetzt geht es wieder um die nächsten organisatorischen Dinge. Was steht an, damit wir die Spannung, die eigentlich doch vorhanden ist halten können? Was steht im Vorder-, was im Hintergrund? Und was brauchen wir für unseren Funkenort? Auf einmal fangen wir wieder an zu träumen. Es sprudelt nur so los. Die Funken fliegen und wir spielen und spinnen mit Ideen und wünschen. Mit teilweise vielleicht auch schon viel zu konkreten Dingen, die an diesem Ort unserer lange zurückgehaltenen Träume auf gar keinen Fall fehlen dürfen. „Ein Baumhaus! ’ne große Bibliothek! Auf jeden Fall einen Garten!“ – „Wir brauchen Räume für Kinder!“ – „Und eine verdammt geile Küche! “ – „Eine Werkstatt!“ – „Ein Kompostklo!“ – „’nen Entspannungsraum!“ – „Uuund eine Schaukel!“
Seltsam, aber irgendwie wird er so auf einmal wieder greifbar. Unser gemeinsamer Ort. Wie die Summe aus all unseren Wunschteilchen. Und plötzlich erledigt sich die Organisation wie von allein. Der eine übernimmt Verantwortung für eine Kontaktliste, die Website, andere wollen Texte schreiben, auf Ortsuche gehen, sich mit Finanzierung und Möglichkeiten für Spenden auseinander setzen. Und in Kontakt bleiben wir auf jeden Fall. Ein Treffen namens „Funkenort – der zweite Schritt“ ist angesetzt.
Irgendwann fange ich an in meinem Notizbuch zu blättern. Stöbere ein kleines bisschen in den vergangenen letzten Monaten herum. Und stoße auf Dinge, die ich noch während der Funkenflugwoche in Berlin aufgeschrieben habe. Selber gedachte, von anderen gesagte Worte. Zweifel. Ich lese Fragen wie: „Was mach ich hier überhaupt?“ „Was hat Bedeutung für mich?“ „Wo will ich hin?“ „Wo wollen WIR hin?“ „Und warum überhaupt?“ „Was ist Funkenflug?“ „Ist Funkenflug ein Waschlappen?“ „Wo liegt unser Fokus?“ „Funkenflug als Sprungbrett – aber in welches Gewässer wollen wir springen?“ „Wie geht es weiter?“ „Wie weit geht Funkenflug?“ „Was wenn wir scheitern?“ und „Wovor haben wir Angst?“. Aber auch „mir selber meinen eigenen Raum schaffen“ – „Menschen dazu anregen, sich der Sinnlosigkeit zu verweigern“ – „Funkenflug soll keine Ferienrevolution sein!“ und dann „sich zum Dichter seines eigenen Lebens machen“.
Ich blicke auf zu den anderen, die immer noch weiter reden. Obwohl es schon halb zwei ist. Joey sagt: „Als ich die Veranstaltung bei Facebook erstellt habe, dachte ich, da kommt bestimmt eh keiner. Ich hatte richtig Schiss, dass ich der einzige bin, der so träumt.“
Und hier sitzen wir jetzt. Und lächeln. Trotz der Zweifel. Trotz der Ängste. Trotz der Kraft, die es kostet, sie zu überwinden. So ein Ort entsteht auch nicht von heute auf morgen. Entsteht vielleicht ein ganzes Leben lang. Bewegt sich immer weiter. Und ist nicht nur an einem festen Ort. Selbst Ideen und Träume können sich ändern, wenn man sie ausspricht. Aber vielleicht ist genau das Teil des Wegs.
Also machen wir weiter. Ernennen wir uns zu Dichtern unseres eigenen Lebens. Schrittchen für Schrittchen für Schritt.

Von Eliza

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